Hörendes Gebet

HANDBUCH ORIENTIERUNG: Religionen, Kirchen, Sekten, Weltanschauungen, Esoterik.In einer Veröffentlichung der Gesellschaft für christliche Psychologie, IGNIS, kann man Folgendes lesen, um für das Hören Gottes empfänglich zu werden:

"Suche eine bequeme Sitzposition - Atme ein paar Mal tief ein/aus, mache eine angedeutete Minipause zwischen Einatmen u. Ausatmen, finde einen ruhigen Rhythmus - Stelle dir vor, dass dich ein Engel besucht
/ die Stimme Gottes zu dir spricht: ´Iss, denn der Weg ist weit, der vor dir liegt`
/ ´Steh auf und iss, denn vor dir liegt eine lange Reise` - Lass dieses Wort zu- nächst in dich ein- und ausströmen - Was brauche ich für meine Reise an Nahrung? - Höre die folgenden Ermutigungen: ´Ich bin bei dir, spricht der Herr, dass ich dir helfe`
/ ´Ich werde dich nie verlassen und dich nicht aufgeben`
/ ´Sei stark und mutig! Hab keine Angst und verzweifele nicht` - Atme die Verheißungen Gottes ein/aus - Welche Antwort formt sich in dir? - Kannst du weitere zusprechende Worte Gottes in der Stille wahrnehmen? - Lasse sie wiederum tief in dich einströmen - ´Iss, denn der Weg ist weit`
/ Bereite dich auf den gleich folgenden Aufbruch vor…"
(De’Ignis, APS - Kongress 2006: Workshop E 14, "Sind christliche Berater auch ‚Propheten’?, S. 1).

Dies sind Anleitungen für ein esoterisches, mystisches "Christentum", das sich in unseren Tagen rasant ausbreitet und u.a. sehr effektiv gefördert durch die Zeitschrift "Aufatmen". Wilhard Becker war einer der "Pioniere", der solch ein Ein- und Ausatmen in Verbindung mit Gebet empfohlen hat:

"Damit die Gegenwart Gottes auch in sein Unterbewusstsein dringt, spricht er (der Beter) zunächst leise, im langsamen Rhythmus Jesus Christus vor sich hin, wobei er sich nach und nach bemüht, beim Ausatmen den Namen Jesus zu sagen und beim Einatmen Christus. Durch ein entspanntes Atmen und Sprechen des Namens Jesu gewinnt der Beter nach einiger Zeit die Fähigkeit, den Namen nur in Gedanken zu formulieren, statt ihn auszusprechen. Dadurch wird das Innere nach und nach mit dem Namen des Sohnes Gottes erfüllt. Wenn diese Übung am Tag öfter wiederholt wird, führt sie zu einer Lebenshaltung. Der bewusste Vorgang der Seele wird unbewusst und damit zu einer tragenden Kraft der Seele. Diese Gebetsart ist vor allem bei Gemütsverstimmungen bis hin zu Gemütskrankheiten hilfreich. Durch das rhythmische und ständige Wiederholen des Namens Jesu übernimmt das Unterbewusste den Rhythmus, und der Name Jesus Christus wird zu einem hellen Ton in der Seele ("Nicht plappern wie die Heiden", 1971, S. 146).

Hier wird der Name Jesu wie ein Mantra, eine magische Formel,  gebraucht.

Das Empfangen innerer Bilder ist eine beliebte und uralte Methode, die besonders im Rahmen von New Age und Esoterik im einstmals christlichen Abendland sich immer größerer Beliebtheit erfreut, inzwischen vermehrt auch in christlichen Kreisen. Ehemalige Esoteriker haben mir immer wieder diese Parallelen bestätigt. Der Beter muss sich zum Empfang innerer Bilder und Stimmen innerlich öffnen, in sich hineinhören und verlässt dadurch bewusst bzw. unbewusst die Position der Wachsamkeit. Gerade deswegen ermahnen die Apostel, besonders auch in Verbindung mit dem Gebet, wachsam zu sein. Ein Beispiel von vielen:

"Betet allezeit mit Bitten und Flehen im Geist und wacht dazu mit aller Beharrlichkeit im Gebet für alle Heiligen" (Eph 6,17).

Der Mystiker meint, in sich, dem Urgrund der Seele, den göttlichen Funken zu spüren (Mystik). Doch in dieser "Tiefe" hausen ganz andere Bereiche. Paulus erklärt ganz im Gegensatz zu aller Mystik und Schwärmerei:

"Denn ich weiß, dass in mir, das heißt in meinem Fleisch, nichts Gutes wohnt" (Röm 7,18).

Und Jesus Christus spricht:

"So schaue darauf, dass nicht das Licht in dir Finsternis sei" (Lk 11,35).

So warnte schon vor Jahrzehnten Watchman Nee in seinem Klassiker "Der geistliche Christ" (S. 52):

"Satan kann an dieser Stelle einsetzen und ihnen mancherlei angenehme Empfindungen, Visionen, Träume und übernatürliche Erfahrungen geben. Aber diese Gläubigen nehmen an, dass es vom Heiligen Geist kommt, und begreifen nicht, dass ihr passiver Geist diese falschen Erfahrungen wie ein Magnet anzieht. Hätten sie gelernt, das Übernatürliche und Sensationelle vom Geistlichen zu unterscheiden, hätten diese Gläubigen die Erfahrung sorgfältig geprüft. Aber der Mangel an geistlichem Unterscheidungsvermögen, verbunden mit einem passiven Geist, führt sie immer tiefer in den Betrug Satans. Wenn der Geist des Gläubigen immer passiver wird, passt sich sein Gewissen dem an. Wenn auch das Gewissen passiv geworden ist, erwartet der Christ, direkt vom Heiligen Geist geleitet zu werden, entweder durch Stimmen oder Bibelverse ... . Aber Satan wird die Gelegenheit ergreifen und durch Stimmen, Visionen und andere Phänomene sein Werk tun."

Wirklich hellhörig sollte man jedoch werden, wenn man liest, wodurch dieses "prophetische Beten" angestoßen wurde. Nämlich durch die Stiftung Schleife in Winterthur. Hier handelt es sich um das Missionswerk der Extremcharismatiker Geri und Lilo Keller. Sie gehören zu den entschiedensten Verfechtern des Toronto-Segens. Leute fielen reihenweise bei ihren Versammlungen zu Boden, lachten, zuckten usw. Geistliche Kampfführung, Versöhnungsmärsche usw. sind dort ebenso zu finden wie das Auftreten von Pseudo-Propheten wie beispielsweise Rick Joyner. Wie dieser Mann einzustufen ist, zeigt ein Zitat aus seinem Munde:

"In der nahen Zukunft werden wir nicht neidisch auf die frühe Gemeinde wegen der großen Ernte jener Tage blicken, sondern alle werden sagen, dass Er mit Sicherheit den besten Wein für zuletzt aufgehoben hat. Die herrlichsten Zeiten der Geschichte stehen noch bevor. Ihr, die ihr davon geträumt habt, mit Petrus, Johannes und Paulus zu reden, werdet zu eurem Erstaunen herausfinden, dass sie darauf gewartet haben, mit euch zu reden" (The Harvest Morning Star 9, 1990).

Hier handelt es sich leider um Lehren der Dämonen (1. Tim. 4,1), und der Toronto-Segen findet nun in homöopathisch verdünnter Form über diese Hintertür auch Einlass in die Reihen der Evangelikalen. In ihrem Klassiker "Kampf nicht wider Fleisch und Blut" warnten am Beginn des vorigen Jahrhunderts Jessie Penn-Lewis und Evan Roberts davor, dass vor der Wiederkunft Jesu der Feind Gottes Legionen verführerischer Geister losschicken würde, um all die zu verführen, die für übernatürliche Eingebungen empfänglich sind:

"Wie viele lassen sich z.B. beim Beten in passives, apathisches ‚Warten auf Gott’ hineinsinken oder bringen ihren Geist absichtlich zum Schweigen, um ‚Eindrücke von oben’ zu empfangen, die sie für göttliche Offenbarungen halten" (Jessie Penn-Lewis, "Der bedrohte Christ", Exodus, S. 141-142).

Wie tragisch haben sich diese Worte bzw. Warnungen erfüllt, zum Teil direkt vor unseren Augen. Doch wir leben leider in dieser Zeit der von der Schrift vorausgesagten Ausbreitung der kräftigen Irrtümer (2. Thess 2,11). Auch kann man nur mit Bedauern konstatieren, wie heute biblische Lehre immer weniger zu sagen hat, Erfolg dafür um so mehr als Garant für Wahrheit gilt. Fallbeispiele dienen dann als Beleg für die Wahrheit gewisser Aussagen, doch mit der Erfahrung kann ich praktisch alles beweisen. Und was Heilung angeht, sind die Anhänger der Christlichen Wissenschaft von Mary Baker Eddy viel erfolgreicher als unsere frommen Kreise. Es ist dies eine ähnliche Situation, wie sie Luther in der Auseinandersetzung mit den Zwickauer Propheten erlebte. Sie rühmten sich der Gabe der Herzensschau und kommunizierten mit dem "lebendigen" Jesus über Träume und erklärten, man müsse sich in eine stille Ecke verkriechen und mit Gott selber reden. Sie meinten damit allerdings eine Direktkommunikation mit Gott über Visionen und innere Eingebungen und Prophetien. Luther in seiner drastischen Sprache warnte vor diesen mystischen Geistern:

"Deshalb mahne ich euch, vor solchen verderblichen Geistern, die sagen, ein Mensch empfängt den Heiligen Geist durch stilles Sitzen in der Ecke, auf der Hut zu sein. Hunderttausend Teufel wird er empfangen und nicht zu Gott kommen" (What Luther says, Ed. E. Plass Vol. 3, p.1462).

Wir sind Augenzeugen, wie in unseren Tagen durch uralte schamanische Techniken auch die evangelikale Christenheit immer mehr medial umfunktioniert wird. Gerade auch Leute, die sich aus okkulten Verstrickungen heraus be- kehrt haben, sind für solche Techniken besonders offen bzw. anfällig. Und selbst wenn man in seiner Vergangenheit nichts mit Reiki, >Yoga, Drogen, Esoterik usw. zu tun hatte, genügt manchmal schon die Handauflegung durch einen besonders "begnadeten" Propheten oder Heiler, um ähnliche Phänomene hervorzurufen. Solches Empfangen von Bildern und inneres Hören ist nur allzu bekannt in spiritistischen und esoterischen Kreisen.

S. auch: >Gebet; Meditation; Mystik; Fallen auf den Rücken; Trance; Passivität; Spiritismus; Magie; Mantra.

Alexander Seibel


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