Weltethos
(Projekt Weltethos)

HANDBUCH ORIENTIERUNG: Religionen, Kirchen, Sekten, Weltanschauungen, Esoterik.Nach zwei grausamen Weltkriegen und Hunderten lokaler Kriege sehnt sich die Welt nach einem Zeitalter des Friedens und der Gewaltlosigkeit. Weil Weltfrieden vor allem Religionsfrieden ist, wird die "Gleichwertigkeit der Religionen" zum obersten Glaubensbekenntnis einer >Neuen Weltordnung erhoben. Im Interesse des Weltfriedens sollen die Menschen die "Gleichwertigkeit der Religionen" erkennen und anerkennen und den Glauben des jeweils anderen tolerieren, respektieren und evtl. sogar praktizieren lernen. In diesem Sinne gelte es, ein gemeinsames "Weltethos" (Hans Küng) herauszuarbeiten und die heranwachsende Jugend in den Schulen mit den religiösen Lehren und Praktiken der großen Weltreligionen vertraut zu machen:

"Ein Weltethos will das, was den Religionen der Welt trotz aller Verschiedenheiten jetzt schon gemeinsam ist, herausarbeiten ... es (stellt) das Minimum dessen heraus, was den Religionen der Welt schon jetzt im Ethos gemeinsam ist" (Küng/Kuschel, Erklärung zum Weltethos, 1993, S.10).

Das Projekt eines Weltethos basiert auf der fundamentalen Grundannahme, dass

"sich in den Lehren der Religionen ein gemeinsamer Bestand von Kernwerten findet und dass diese die Grundlage für ein Weltethos bilden" (ebd., S. 16).

Dieses Weltethos umfasse - so die Hoffnung der Initiatoren —

"eine Kultur der Gewaltlosigkeit, des Respekts, der Gerechtigkeit und des Friedens",

eine Kultur, in der wir

"keine anderen Menschen unterdrücken, schädigen, foltern, gar töten und auf Gewalt als Mittel zum Austrag von Differenzen verzichten" (ebd., S. 18).

Es basiert auf der Annahme, dass

"es bereits einen Konsens unter den Religionen gibt, der die Grundlage für ein Weltethos bilden kann: einen minimalen Grundkonsens bezüglich verbindender Werte, unverrückbarer Maßstäbe und moralischer Grundhaltungen" (S. 20).

Kritik:

1. Die großen Weltreligionen sind weder gleich noch gleichwertig.

Die Menschen unterschiedlicher Religionen beten nicht den gleichen Gott an. Es gibt kein gemeinsames Weltethos der Nächstenliebe, der Toleranz und der Gewaltlosigkeit in den großen Weltreli-gionen. Zwar lassen sich in allen Weltreligionen immer wieder die gleichen Tugendkataloge (Nichttöten, Nichtverletzen, Nichtlügen usw.) finden, doch in ihrem (oftmals geheimgehaltenen) Kern un-terscheiden sich die Lehren und Praktiken der großen Weltreligionen voneinander. Allein das strikt biblisch fundierte Christentum ist eine Religion der uneingeschränkten Nächstenliebe und Gewaltlosigkeit. Jesus Christus verbietet Mord, Hass und Gewalt in jeder Form und aus jedem Grund, und er verbietet uns, unsere Mitmenschen zu richten und zu verurteilen. Gott allein hat das Recht zu richten und zu urteilen. Die außerchristlichen Religionen (namentlich Islam, Hinduismus und Buddhismus; siehe dort) enthalten — offen und verdeckt — Lehren und Praktiken des Diffamierens (Frevler, Lügner), des Hassens, des Bekämpfens und des Tötens im Namen des Glaubens.

2. Der Fehler von Küng besteht darin, dass er nicht korrekt zwischen hermeneutischen und normativen Verfahren unterscheidet.

Hätte er gefordert, alle Religionen sollten eine Kultur der Gewaltlosigkeit und Toleranz entwickeln, wie sie die Bibel entfaltet, dann wäre dies ein Beitrag zum Weltfrieden. Wer dagegen die oben erwähnten religiösen Lehren und Praktiken des Fernen Ostens und des Islam unter Hinweis auf eine politisch gewollte religiöse Toleranz fördert und verbreitet, der darf sich nicht wundern, wenn sich auch in unserem Land Hass und Gewalt ausbreiten. Denn in der Tat lässt sich in den Texten aller nichtchristlichen Religionen ein gemeinsamer Kern entdecken: Es ist nicht die von Küng postulierte "Kultur der Gewaltlosigkeit und Toleranz", sondern das gerade Gegenteil: die "Kultur der Intoleranz und Gewalt", in der das Kämpfen und Töten für die jeweilige Gottheit Mittel und Wege zur Erlösung und zum Heil sind. Vor diesem Hintergrund ist grenzenlose und blinde religiöse Toleranz gleichbedeutend mit der Akzeptanz und Verbreitung intoleranter, menschenverachtender und gewaltfördernder Ideologien. Die politische Lehre von der umfassenden und grenzenlosen Toleranz konsequent zu Ende gedacht würde bedeuten: das Morden und Töten von Nichtmuslimen, das Morden und Töten für Allah, Krisna oder tantrische Gottheiten (im Rahmen tantrischer Opferrituale) zu erlauben. Alles andere würde gegen deren Schriften und Glauben verstoßen, alles andere wäre "intolerant".

3. Der Gott der Bibel möchte, dass alle Menschen von der Sündenschuld erlöst werden und ewiges Leben haben.

Der Gott der Bibel möchte, dass die frohmachende Botschaft von der Erlösung durch Jesus Christus allen Menschen mitgeteilt wird. Ob sie diese (gute) Nachricht annehmen oder ablehnen, das steht im freien Willen jedes einzelnen Menschen. Christen sind nur befugt, das "Schwert des Wortes" zu benutzen — und sonst nichts. Die Lehren und Praktiken aller nichtchristlichen Religionen umfassen - wie schon erwähnt — andere Mittel: List und Tücke, Lug und Betrug, Kampf und Gewalt, Morden und Töten, Opferrituale und Magie. Der Islam bekehrt — wenn die Zeit reif ist - unter Umständen auch mit dem Schwert, das hat die Geschichte hinreichend bewiesen. Abtrünnigen und Kritikern droht er mit Mord, wie das Beispiel Sulman Rushdie zeigt. Die Formeln von der Gleichwertigkeit und Toleranz vermischen die Formen des Kampfes — den Kampf mit dem Schwert und den Kampf mit dem Wort (Gottes). Schlimmer noch: Religionen, die das Kämpfen und Töten rechtfertigen, die die Bekehrung mit dem Schwert predigen, müssen in Zukunft toleriert werden; während das bibeltreue Christentum, das jede Form der Gewalt ablehnt, mit dem Vorwurf des ">Fundamentalismus" diskreditiert und diskriminiert wird. Wer aber den Menschen das Wort als "Waffe" im Glaubenskampf, den "Kampf" mit Worten und Argu-menten verbieten will, ist nicht tolerant, sondern Wegbereiter einer neuen, unheilvollen Diktatur. Vor allem dann, wenn es weiterhin gelingt, die Ablehnung und Kritik religiöser Lehren und Praktiken mit der Diskriminierung einer Glaubensgemeinschaft und/oder einer Person gleichzusetzen und zu einem Straftatbestand zu erheben.

Lit.: Kamphuis, M.: Ich war Buddhist, 2000; Küng/Kuschel: Erklärung zum Weltethos. Die Deklaration des Parlamentes der Weltreligionen, 1993; Maharaj/Hunt, Der Tod eines Guru, 1996; Trimondi/Trimondi: Der Schatten des Dalai Lama, 1999

Reinhard Franzke


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