Loskaufopfer

HANDBUCH ORIENTIERUNG: Religionen, Kirchen, Sekten, Weltanschauungen, Esoterik.Begriff im Lehrsystem der Zeugen Jehovas, mit dem sie das Werk Jesu Christi bezeichnen, das er am Marterpfahl (nicht Kreuz) vollbracht hat.

Nach Ansicht der Zeugen Jehovas konnte Jesus Christus keine vollständige Erlösung des Menschen erwirken. Seine erste und eigentliche Aufgabe war es nach Ansicht der Wachtturm-Gesellschaft nicht, zur Vergebung unserer Sünden zu sterben, sondern den Namen Jehovas zu verteidigen, seine Souveränität zu bestätigen und sein Königreich aufzurichten. Jesus gilt - und hier möchte die Wachtturm-Gesellschaft an Röm 5,12-21 anknüpfen — als der zweite Adam. Der erste Adam war als vollkommener Mensch (im Sinne einer "relativen Vollkommenheit") erschaffen worden, aber er hatte diese Vollkommenheit infolge der Einflüsterungen Luzifers verloren, denen er nachgab. Christus nun trat als der zweite Adam auf, der den Einflüsterungen Luzifers nicht erlag. Er gab seinen Leib und sein vollkommenes menschliches Leben als Lösegeld oder L. an Jehova hin, um die Sünde Adams zu sühnen, die sich durch die Vererbung über das gesamte Menschengeschlecht ausgebreitet hatte. Jesus, nach Ansicht der Zeugen Jehovas nicht der Sohn Gottes, sondern ein Geschöpf, nämlich der Mensch gewordene Erzengel Michael, gilt also als der vollkommene zweite Adam, der sündlos blieb. Infolge seines L.s erhalten nun alle Menschen, die dieses für sich in Anspruch nehmen, die Möglichkeit, ebenfalls zur Vollkommenheit aufzusteigen. Das L. Christi reicht hierfür aber nicht aus. Es hat nur die Übertretung Adams ausgeglichen. Die eigenen Fehler und Sünden muss der Mensch, wenn auch unter Inanspruchnahme dieses L.s, selber durch seine Leistungen ausgleichen. Die Erlösung erfolgt also nicht durch Glaube allein, sondern durch Glaube und Werke. Zu diesen Werken zählen: die Verkündigung des Königreiches Jehovas, eine Lebensführung in Übereinstimmung mit Jehovas Anordnungen und die Unterwerfung unter die Theokratische Gesellschaft. Wer diese Werke zu Lebzeiten nicht vollbracht und das L. Christi nicht angenommen hat, bekommt nach seiner Neuerschaffung im Tausendjährigen Reich eventuell eine (letzte) Gelegenheit, sich zu bewähren.

Beurteilung:

Es handelt sich um ein typisches Beispiel für Synergismus :

Gott tut einen Teil, der Mensch tut einen Teil, und beide Teile zusammen bewirken die Erlösung. Diese Ansicht aber steht zum Evangelium von der Rettung des Sünders allein aus Gnaden in unvereinbarem Widerspruch. Es wird völlig außer Acht gelassen, dass Jesus eben nicht auf gleicher Ebene wie Engel oder Menschen steht, sondern ganz auf die Seite Gottes gehört. Seine zeitweilige Menschwerdung darf nicht so missverstanden werden, als sei er bloßer Mensch gewesen, sondern er war wahrer Mensch und wahrer Gott zugleich. Er hat sich während seines irdischen Wirkens nicht seines "Engelseins" entäußert, sondern seiner göttlichen Gestalt, ohne dabei seine göttliche Wesensart zu verlieren (s. Dreieinigkeit). Die Zeugen Jehovas hingegen werten Jesus Christus ab. Zwar räumen sie seinem L. eine zentrale Stelle ein, aber dieses reicht ihrer Meinung nach für die Erlösung nicht aus.

Vor allem vier Bibelstellen sind es, die von den Zeugen Jehovas zur Behauptung der Identität von Jesus Christus und dem Erzengel Michael herangezogen werden: Dan 12,1; 1. Thess 4,16; Jud 9 und Offb 12,7-12. An allen diesen Stellen ist vom Engelfürsten Michael die Rede. "Michael" bedeutet "Wer ist wie Gott"" — und nicht "der wie Gott ist" (so hat Russel l fälschlich übersetzt). Dass Michael als der oberste der Engel und "Oberbefehlshaber" der göttlichen Engelheere eine bevorzugte Stellung einnimmt, wird an allen Bibelstellen, wo sich sein Name findet, deutlich, aber nirgends wird er mit Jesus Christus identifiziert. Vielmehr steht Jesus über Michael und allen Engeln (vgl. Hebr 1 u.a.). Wenn nun z.B. in Dan 12,1 und Offb 12,7-12 von einem Kampf zwischen Michael und Satan die Rede ist, so handelt Michael in der Vollmacht und im Auftrag Christi, aber nicht als Christus. Immer wieder wird in der Heiligen Schrift betont, dass Christus nicht allein gegen Satan und die dämonischen Mächte streitet, sondern begleitet von seinen Engeln - und unter ihnen befindet sich an vorderster Stelle Michael, der Erzengel, dessen Stimme zusammen mir der Posaune Gottes bei der Wiederkunft Jesu erschallt (1. Thess 4,16; vgl. Mt 24,30f.parr.; 2. Thess 1,7). Die Stimme Michaels ertönt nur zum Gericht über die Welt. Bei der Auferweckung der Toten hingegen ist es allein die Stimme Christi, des Sohnes Gottes, die erschallt. Christus allein - und nicht der Erzengel Michael - hat Macht, die Toten zum Leben zu rufen (Joh 5,25.28f.). Denn Christus ist nicht Geschöpf, sondern der Sohn des lebendigen Gottes.

Jesus Christus hat am Kreuz auf Golgatha alles für unsere Erlösung getan:

"Es ist vollbracht" (Joh 19,30).

Sein Blut "macht uns rein von aller Sünde";

er ist "die Versöhnung für unsre Sünden, nicht allein aber für die unseren, sondern auch für die der ganzen Welt" (1. Joh 1,7; 2,2).

Er ist "ein für allemal in das Heilige eingegangen und hat eine ewige Erlösung erworben".

Er ist am Ende der Zeiten "einmal erschienen, um durch sein eigenes Opfer die Sünde aufzuheben".

Wir sind "ein für allemal geheiligt durch das Opfer des Leibes Christi, der "ein Opfer für die Sünden geopfert hat".

"Denn mit einem Opfer hat er für immer vollendet, die geheiligt werden" (Hebr 9,12.26; 10,12.14; vgl. auch Röm 3,23f.28; Eph 2,8f. u.a.).

Gewiss gehören Werke zum Christsein dazu, aber immer nur als Folge, nie als Bedingung des Heils. Die Wachtturm-Gesellschaft muss Werke als Bedingung für das Heil fordern, weil sie keinen wirklichen Christus kennt, der eine wirkliche, vollständige Vergebung und Erlösung vollbracht hat. Die Bibel aber verkündigt uns den wirklichen Jesus Christus, wahrer Gott und wahrer Mensch, der nicht bloß einen "Ausgleich" für Adams Verfehlung auf der gleichen Ebene schafft, sondern weit mehr: Er ist nicht nur für die Sünde Adams (und deren Folgen), sondern für die Sünden der ganzen Welt gestorben: für vergangene, gegenwärtige und zukünftige Sünden. Und er vergibt sie jedem, der reumütig und im Glauben zu ihm kommt.

Dieses Opfer, das unendlich über Adams Verfehlung hinausgeht, konnte er nur vollbringen, weil er nicht nur wahrer Mensch, sondern auch wahrer Gott ist von Ewigkeit. In Röm 5,12-21 wird zwar Christus als der zweite Adam dem ersten Adam gegenübergestellt, aber es wird betont, dass sich beide eben nicht auf der gleichen Ebene befinden:

"Aber nicht verhält es sich mit der Gabe wie mit der Sünde. Denn wenn an eines Sünde viele gestorben sind, so ist viel mehr (pollo mallon) Gottes Gnade und Gabe vielen überschwänglich widerfahren durch die Gnade des einen Menschen Jesus Christus" (V. 15).

Sünde und Gnade verhalten sich nicht wie zwei Waagschalen mit gleichen Gewichten, die alttestamentliche Talionsregel gilt in diesem Zusammenhang gerade nicht, sondern die Gnade Gottes besitzt ein herrliches und gewaltiges Übergewicht. Gott wurde in Jesus Christus Mensch, weil er nur so stellvertretend für uns Menschen sterben, unsere Sünden sühnen und unsere Gottverlassenheit überwinden konnte (vgl. Hebr 2,17; 4,15; Mt 27,46).

Aber erlösen kann er uns nur, indem er Gott ist und die Macht zur Erlösung besitzt.

S. auch: Zeugen Jehovas; Wachtturm-Gesellschaft; Dreieinigkeit; Neue-Welt-Übersetzung; Jesus Christus.

Lit.: L. Gassmann, Zeugen Jehovas, 2000.

Lothar Gassmann


Weitere Artikel in gedruckter Form finden Sie auf der Website von Dr. Lothar Gassmann (Redakteur).