Gericht

HANDBUCH ORIENTIERUNG: Religionen, Kirchen, Sekten, Weltanschauungen, Esoterik.In Bezug auf die Gerichte (gemeint sind die endgültigen Gerichte über Menschen durch Gott, nicht die Gerichtskatastrophen, die über die Welt ergehen) finden sich in der >prämillennialistischen und prätribulationistischen Literatur ähnliche Unterteilungen wie hinsichtlich der Auferstehungen. Hier werden grundsätzlich mindestens drei Gerichte unterschieden:

1. Das erste Gericht findet bei der ersten (unsichtbaren) Wiederkunft Christi statt, also bei der Entrückung der Gemeinde. Es ist das "Preisgericht" nach 1. Kor 3,12-15.

2. Das zweite Gericht erfolgt sieben Jahre danach am Ende der Großen Trübsal. Wer da im einzelnen gerichtet wird, werden wir gleich sehen.

3. Das dritte Gericht geschieht dann noch einmal tausend Jahre später vor dem großen weißen Thron, verbunden mit der allgemeinen Totenauferstehung.

Das erste Gericht nach der Entrückung bezieht sich auf die Brautgemeinde der Erlösten, weil andere dann noch nicht im Himmel sein werden.

Das zweite Gericht nach der Trübsalszeit bezieht sich auf die Nationen, die danach beurteilt werden, wie sie während der Trübsalszeit die Juden behandelt haben.

Mt 25,40 ("Was ihr einem meiner geringsten Brüder getan habt, habt ihr mir getan")

wird von vielen Prämillenniaristen auf die Juden bezogen.

Das dritte ist dann das Gericht über die Gottlosen.

>Amillennialisten halten dieser Dreiteilung entgegen, daß die Bibel von einem "Tag des Herrn", von einem Gerichtstag sprechen würde, an dem alles erfolgt. Dieser Tag des Herrn werde immer wieder betont, schon im Alten Testament, und man könne die Ereignisse, die an ihm stattfinden, nicht auseinanderreißen.

Wenn man aber aufteilt, kommt man zu unterschiedlichen Schemata. Charles C. Ryrie (Basic Theology, Wheaton/Illinois 1986, S. 512-516) spricht sogar von sieben unterschiedlichen Gerichten (im folgenden gleich meine Beurteilung dieser Sicht):

1. Das erste Gericht ist das sogenannte Preisgericht. Es bezieht sich auf die entrückte Gemeinde. Deren Glieder sind alle schon gerettet, wenn auch manchmal wie durch das Feuer hindurch, aber es wird darum gehen, ob ihre Werke Bestand haben werden, ob sie verbrennen wie Stoppeln im Feuer oder ob sie beständig sind wie Gold, Silber u.ä. — Hierzu ist anzumerken: Gewiß ist in 1. Kor 3,12-15 davon die Rede, daß die Gläubigen unterschiedliche Frucht bringen und unterschiedlichen Lohn in der Ewigkeit erhalten werden, aber nirgends wird gesagt, daß dieses Gericht unabhängig vom "Tag des Herrn" (also zu einem früheren Zeitpunkt) stattfinden würde.

2. und 3. Das zweite und das dritte Gericht fallen für Ryrie zeitlich zusammen. Es ist das Gericht über die alttestamentlichen Heiligen, die auferstehen, und über diejenigen Überwinder, die sich während der Trübsalszeit bekehrt haben. Dieses Gericht erfolgt am Ende der Trübsalszeit. Ryrie folgert dies aus Dan 12,1-3 und Offb 20,4-6, muß aber zugeben:

"Keine spezielle Erwähnung wird über Gericht und Belohnung gemacht; es kann nur angenommen werden, daß dies zur Zeit der Auferste-hung stattfindet" (a.a.O., S. 514).

- Somit gelten hier dieselben Vorbehalte, die bei der Frage der Auferstehung(en) genannt werden.

4. und 5. Ebenfalls am Ende der Trübsalszeit und vor Beginn des Millenniums werden laut Ryrie die überlebenden Juden und die Nationen gerichtet (viertes und fünftes Gericht). Die Völker werden danach beurteilt, wie sie ihren Glauben bewährt haben, vor allem, ob sie den Juden Gutes getan haben oder nicht. Ryrie beruft sich dabei auf Hes 20,34-38, Joel 3,1 f. und Mt 25,31-46. — Aber an diesen schwer zu interpretierenden Stellen findet sich keinerlei zeitliche Einordnung des Gerichts — außer dem Hinweis: "wenn der Menschensohn kommen wird" (Mt 25,31), was wiederum auf den einmaligen "Tag des Herrn" hindeutet. In Mt 25 ist es zudem fraglich, ob mit den "Brüdern" wirklich nur die "Juden" gemeint sind und nicht vielmehr alle Jünger Jesu.

6. und 7. Die beiden letzten Gerichte — sie treten laut Ryrie nach dem Millennium ein — beziehen sich auf Satan und die gefallenen Engel sowie auf die Unerretteten. Während es beim vierten und fünften Gericht Gerettete und Verlorene gibt, sind die im sechsten und siebten Gericht Verurteilten in jedem Fall verloren. Ihre Bestimmung ist der Feuersee (Offb 20,11-15).  

In der Tat spricht Offb 20,11-15 vom endgültigen Weltgericht. Es fällt dem unbefangenen Leser der Bibel aber schwer, die Gerichte zeitlich auseinanderzureißen, wie Ryrie und andere es tun. Meines Erachtens läßt sich nur sagen, daß beim Großen Weltgericht am Jüngsten Tag alle Toten gerichtet werden — auch die, die im Buch des Lebens stehen.

In Offb 20,12 heißt es ausdrücklich:

"Und ein anderes Buch wurde aufgetan, welches ist das Buch des Lebens."

Der Unterschied ist nur, daß diejenigen, welche im Lebensbuch des Lammes verzeichnet sind, nicht in den Feuersee oder feurigen Pfuhl geworfen werden, sondern in die himmlische Herrlichkeit gelangen (V. 15). Aber der endgültige Bestimmungsort — nach dem Zwischenzustand — wird erst am Jüngsten Tag zugeteilt, nach dem Gott ja den neuen Himmel und die neue Erde erschafft, in dem die Erlösten leben werden.

Das meint auch Jesus Christus, wenn er spricht:

"Wer an ihn (Gottes Sohn) glaubt, der wird nicht gerichtet; wer aber nicht glaubt, der ist schon gerichtet, denn er glaubt nicht an den Namen des eingeborenen Sohnes Gottes" (Joh 3,18).

Wer an Jesus glaubt, der steht im Lebensbuch des Lammes — hier und jetzt. Und am Jüngsten Tag bei Großen Weltgericht wird ihm sein endgültiger Platz im Himmel zugeteilt.

Lothar Gassmann


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